Die Stillen in der Menge: Introvertierte Backpacker
„Hey, gehst du mit zum Pub Crawl?“ Wenn mit dieser Frage ein Szenario aus deiner persönlichen Hölle beginnt, dann bist du vielleicht auch introvertiert. Und dieses Wort scheint mit der Backpacker-Kultur überhaupt nicht kongruent zu gehen, denn schließlich sollen wir ja beim Reisen ständig neue Freunde finden, sozialiseren und davon auch am Besten noch sehr viel Beweismaterial in den sozialen Medien verteilen. Aber zum Glück geht es auch anders, denn es gibt auch introvertierte Backpacker.
Socializing bis zum Get no: Der typische Backpacker
Lasst mich eingangs einmal den handelsüblichen Backpacker beschreiben, wie man ihn vornehmlich in Südostasien, in Südamerika, aber auch auf dem Balkan, in Australien und in europäischen Metropolen findet. Dieser Typ Mensch fragt – nach der kurzen Erkundigung nach dem Rufnamen, der Herkunft und der bisherigen Reiseroute – meist recht schnell, ob man sich am heutigen Abend den sozialen, meist alkohollastigen Aktivitäten des Hostels anschließen will.
Der typische Backpacker tritt in der Herde auf, verhält sich, als wären die vor zwei Tagen getroffenen Personen (deren Namen er insgeheim schon gar nicht mehr weiß) Freunde seit Menschengedenken und postet Bilder von sich und (sehr austauschbaren) anderen Backpacker-Gestalten am Strand, beim Surf-Camp oder beim Pub Crawl. Gerne verbunden mit dem Hinweis, mit diesen Menschen (die vergessen sein werden, wenn der nächste Backpacker-Hafen angelaufen wird) die #timeofmylife verbracht zu haben. Das alles sind Backpacker. Und all das bin ich nicht.
Introvertierte Backpacker – Ein Widerspruch in sich?
Der Begriff introvertiert beinhaltet den Umstand, dass die besagte Person ‚Socializing‘ in großen Gruppen und das dort oft vorherrschende inhaltsleere Gerede als extrem anstrengend und kräftezehrend empfindet. Und da wird es beim Backpacking schon schwierig. Oder habt ihr schon einmal versucht, ein Buch auf einer Dachterrasse über Sukothai zu lesen, wenn diese von einer lautstarken Gruppe gestürmt wird, die sich gegenseitig versichert, dass sie BFFs fürs Leben sein werden?
Ja, ich bin die mit dem Buch. Ja, ich bin die, die völlig entgeistert mit dem Kopf schüttelt, wenn sie im Hostel gefragt wird, ob sie beim Beerpong mitspielen will. Wahrscheinlich hätte der Fragende sogar noch größere Chancen, wäre der Inhalt gewesen, ob ich ihm zufällig eine Niere spenden möchte.
Lieber tiefe Gespräche als Party
Ich brauche Menschen, die neben dem Leben oder zumindest Inszenierens ihre Ach-so-Happy-Lifestyles auch wirklich etwas zu sagen haben. Eine meiner besten Freundinnen traf ich in einem Hostel in Montenegro und nach einer fast einstündigen Diskussion über ein freies Palästina ist uns aufgefallen, dass wir den Vornamen der jeweils anderen gar nicht wissen. Oder manchmal halt auch einfach Menschen, für die Stille in Ordnung ist und die einfach einmal für eine Weile neben mir sitzen können, ohne ständig reden zu müssen.
Introvertiert ist nicht gleich schüchtern
Und um gleich einmal mit ein paar Klischees aufzuräumen, bevor jemand hier auf die Idee kommt und sagt: Na, dann geh doch nicht ins Hostel, wenn du schüchtern bist. Newsflash, Genius: Schüchtern und introvertiert sind nicht das Gleiche, sondern zwei grundverschiedene Dinge. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, auf fremde Menschen zuzugehen und sie anzusprechen. Ich brauche allerdings einen Ansporn, dies zu tun. Und das für Backpacker eher tinder-ähnliche Sozialverhalten, mit allem, was nicht bei drei verschwunden ist, einfach nur um des Redens Willen reden zu müssen, ist für mich keiner.
Mir wäre es schon lieb, wenn die Person am nächsten Tag auch noch weiß, was ich erzählt habe – ebenso wie ich ihr ja auch zuhöre. Anderenfalls kann ich mir das Gerede auch gleich sparen. Gespräche brauchen für mich Tiefe und wenn ich nichts Gescheites zu sagen habe, dann halte ich den Mund. Übrigens eine Eigenschaft, die ich an dieser Stelle sehr vielen Menschen, egal, ob Backpacker oder nicht, ans Herz legen möchte.
Introvertierte Backpacker: Ja, es gibt sie!
Ich kann euch auch versichern, ich bin damit nicht allein. Es gibt viele introvertierte Backpacker, die alleine reisen und demzufolge auch in Hostels übernachten. Sie fallen nur leider weniger auf, weil sie von der ausufernden Energie der Extrovertieren (ohne böse Absicht, ist mir klar) überrollt werden und sich eben nicht in den Vordergrund drängen. Introvertierte werden niemals versuchen, gegen eine Gruppe anzuschreien oder mit ihrer Präsenz zu dominieren.
Ich verlange nun auch gar nicht, dass sich Extrovertierte zurücknehmen, sich ändern oder sich selbst weniger schätzen sollen (bitte tut das nicht!). Ebenso wenig denke ich, dass extrovertiertes Verhalten einzig den Beweggrund hat, introvertierte Backpacker rauszudrängen. Selbstverständlich nicht. Natürlich weiß ich, dass hier keine böswilligen Intentionen, sondern lediglich ein wenig Unaufmerksamkeit und fehlendes Bewusstsein für andere Sozialformen ausschlaggebend sind.
Sprecht uns an: Es lohnt sich.
Aber vielleicht versucht ihr, beim nächsten Aufenthalt in einem Hostel mal darauf zu achten. Wir sind da. Ihr findet uns mit einem Buch im Fensterrahmen mit Blick über die Altstadt, gedankenverloren mit einer Gitarre im Garten oder im Dunklen auf der Dachterrasse, weil wir uns die Sterne ansehen wollen. Und dann fragt ihr uns vielleicht einmal nicht, ob wir mit zum Pub Crawl wollen, sondern nehmt euch 15 Minuten Zeit, euch richtig mit uns zu unterhalten. Und dann werdet ihr plötzlich überrascht feststellen, dass aus der Viertelstunde plötzlich zwei Stunden geworden sind und dass wir tatsächlich spannende Sachen zu sagen haben.
Und noch viel wichtiger: Vermutlich werdet ihr bemerken, dass ihr das Gespräch mit uns insgeheim fast noch mehr genossen habt als einen weiteren Abend in der nächsten Kneipe mit Smalltalk und erzwungenem Socializing. Denn introvertierte Backpacker sind vor allem eins: Wir sind verdammt gute Zuhörer!